Aber erst die Entwicklung der Quantentheorie
enthüllte eine seltsame und alles durchdringende Rolle der komplexen Zahlen
als grundlegende Struktur der physikalischen Welt, in der wir leben.
Grob gesagt gelten die Gesetze der komplexen Zahlen im Bereich der
kleinsten Phänomene, während die Wahrscheinlichkeiten eine Brücke
zwischen dieser Mikrowelt und der vertrauten Makrowelt bildet.
Um eine Vorstellung davon zu gewinnen, wie die Quantentheorie
funktioniert, müssen wir zumindest vorläufig annehmen, daß sich
physikalische Vorgänge auf zwei Ebenen abspielen:
einer quantentheoretischen Ebene, auf der die komplexen Zahlen
diese seltsame Rolle übernehmen, und einer klassischen Ebene...
Roger Penrose:
Schatten des Geistes.: Wege zu einer neuen Physik des Bewusstseins, Seiten 321 und 322. Englische Erstausgabe: 1994, Originaltitel: Shadows of the mind.
Superposition, Verschränkung und Kollaps
Der Gesamtzustand eines quantenmechanischen Teilchensystems ist eine Superposition
von Zuständen*). Die Superposition lässt sich als Element des Hilbert-Raumes
darstellen und exakt berechnen.
Ein Messvorgang läßt die Superposition
kollabieren, d.h. die Messung wird nur einen einzigen Zustand zeigen -
nicht etwa berechenbar, sondern zufällig
("Schrödingers Katze").
Teilchen können auch miteinander verschränkt+) sein.
Hat man es mit zwei verschränkten Teilchen zu tun und misst man den Zustand
eines der beiden verschränkten Teilchen, so ist unverzüglich
auch der Zustand des anderen beliebig weit entfernten Partner-Teilchens
bestimmt. Superposition, Verschränkung und Kollaps haben
schier unglaublich rätselhafte Effekte. Diese Rätsel sind beunruhigend
und provozieren den Menschenverstand.
Ein Quantencomputer könnte Superposition und Verschränkung
auf der quantentheoretischen Ebene (im Hilbert-Raum) praktisch
ausnutzen und massiv parallel rechnen. Es genügt aber nicht, im Hilbert-Raum
parallel rechnen zu lassen, man muss auch die gewünschte Information in
unsere vertraute Makrowelt transferieren und das ist
- d e r s p r i n g e n d e P u n k t :
Ein Quantenalgorithmus muss so arbeiten, dass der Ergebniszustand die
Wahrscheinlichkeit eins hat und alle anderen null. Eine Messung würde
dann genau das gewünschte Ergebnis liefern. Bei einer Routenoptimierung
zum Beispiel würde der Quantenalgorithmus demjenigen Zustand, der der
optimalen Route entspricht, die Wahrscheinlichkeit eins verleihen.
Ein Quantencomputer würde bisherige Computer in
den Schatten stellen. Wir sind vielleicht schon ganz
nahe dran, jetzt im 21. Jahrhundert auf dem Planeten Erde. Seit den
1990er Jahren gibt es vielversprechende Experimente - manchmal aber beschleicht
mich noch das Gefühl, die Sache könnte ein Griff nach den Sternen sein
und so ausgehen wie die Suche nach dem Perpetuum Mobile.
*) Einen detaillierten Erklärungsversuch
findet man im Blog "Hier wohnen Drachen" von Martin Bäker.
+) Einen beeindruckend anschaulichen Erklärungsversuch findet man im Video
"Quantenverschränkung" (Vlog der Zukunft).
Einen Überblick über die formalen Grundlagen der Quantenmechanik findet man z.B. in
dieser pdf von Andreas Hemmerich.
Einige Links:
- www.ap.univie.ac.at/users/fe/Quantencomputer
Genaue Beschreibung des Prinzips. Von Franz Embacher
- http://www.heise.de/ct/artikel/Quaentchen-fuer-Quaentchen-286476.html
"Bilden ein paar Qubits eine Superposition von Zuständen, dann sind
sie nicht mehr unabhängig voneinander. Sie beeinflussen sich gegenseitig
und verändern die Wahrscheinlichkeitsamplituden ihrer Zustände. Wie
Wasserwellen, deren Amplituden sich durch Interferenz verstärken oder
auslöschen, können Operatoren Wahrscheinlichkeitsamplituden der Qubit-Zustände
ändern.
Ein Quantenalgorithmus muß diese Operatoren so einsetzen, daß der Zustand,
der zum Beispiel das Ergebnis eines Suchalgorithmus enthält, die Wahrscheinlichkeit
eins hat und alle anderen durch Interferenz den Wert null. Eine Messung
führt dann zwangsläufig zu diesem Ergebniszustand." (c't 16/1998)
- Cold Numbers Unmake
the Quantum Mind
"Sir Roger Penrose is incoherent and Max Tegmark says he can prove
it... Penrose (was) speculating in a popular book called 'The Emperor's
New Mind' that brain might be acting like a quantum computer." (Ein
Artikel in Science auf der Website von Max Tegmark)
- Ist
die Quantentheorie des Bewusstseins Humbug?
"Der amerikanische Bewusstseinsforscher Stuart Hameroff und der britische
Mathematiker Roger Penrose haben in den neunziger Jahren eine Theorie
entwickelt und vorgestellt, wonach sich Bewusstsein durch den Kollaps
der Wellenfunktion in den Mikrotubuli des Gehirns erklären ließe. Ein
bewusstes Ereignis entstehe, wenn sich dieser Kollaps der Wellenfunktion
in vielen Neuronen über das gesamte Gehirn verteilt 'global und holistisch'
einstelle. Hameroff und Penrose sprechen von einer 'orchestrierten objektiven
Reduktion' (der Quantenwelt in die klassische Welt)." (TP, 6.2.2002)
Roger Penrose:
Nachtrag, 15.1.2011. Als im April 2001 diese Seite ins Netz gestellt wurde,
gab es noch keinen Artikel in der Wikipedia. Aber es gab schon Bücher, etwa diese:
- Roger Penrose:
Computerdenken - Des Kaisers neue Kleider oder die Debatte um Künstliche
Intelligenz und die Gesetze der Physik. Amerikanische Erstausgabe: 1989,
Originaltitel: The emperor's new mind.
- Roger Penrose:
Schatten des Geistes.: Wege zu einer neuen Physik des Bewusstseins.
Englische Erstausgabe: 1994, Originaltitel: Shadows of the mind.
Der Hype:
Nachtrag, 12.6.2018.
Das Thema Quantencomputer
erscheint plötzlich auf den Titelseiten verschiedener Zeitschriften
und in Actionthrillern,
sogar die "Bilderberger" beschäftigen sich schon damit.
Der Herr Oettinger wird in einem Spektrum-Artikel zum Thema abgebildet.
Im Bundestags-Ausschuss "Digitale Agenda" ist der Quantencomputer Thema einer
öffentlichen Anhörung.
Das Video dieser Anhörung
zeigt, wie die Politik mit der Quantenmechanik konfrontiert wird.
Einige Artikel
Die Quantenverschränkung im Auge des Vogels (17. 7. 2011)
"Wenn man an Anwendungen der Quantenmechanik denkt, dann meist sicher an Computer
und ähnliche technische Geräte. Aber auch in der Biologie können Quanteneffekte eine Rolle spielen
– ein geradezu fantastisches Beispiel ist der Magnetkompass der Vögel,
der vermutlich auf subtilen Quanteneffekten im Auge des Vogels beruht.
Hier kann man Quanteneffekte sichtbar machen, indem man das Verhalten von Vögeln beobachtet."
liest man bei Martin
Bäker.
"Rotkehlchen sind pfiffige kleine Vögel. Im Herbst übersiedeln sie vom frostigen Skandinavien ins warme Afrika und kehren im Frühling wieder zurück.
Die gut 10.000 Kilometer lange Rundreise bewältigen sie, ohne sich zu verirren. ...
Das Vogelauge [enthält] einen Molekültyp, in dem zwei Elektronen ein verschränktes Paar mit Gesamtspin null bilden.
Wenn dieses Molekül sichtbares Licht absorbiert, gewinnen die Elektronen genügend Energie, sich zu trennen
und für externe Einflüsse wie das Erdmagnetfeld empfänglich zu werden.
Bei Inklination beeinflusst das Magnetfeld die beiden Elektronen unterschiedlich und erzeugt ein Ungleichgewicht,
das die chemische Reaktion des Moleküls verändert.
Im Auge wird dieser chemische Unterschied in neuronale Impulse übersetzt;
so entsteht schließlich im Vogelgehirn eine Repräsentation des Magnetfelds."
liest man bei Vlatko
Vedral unter "Schrödingers Vögel".
- QUESS-Mission: satellitengestützte Quantenkryptografie über tausende Kilometer (15. 8. 2016)
"Voraussichtlich am heutigen Montag wird im chinesischen Jiuquan eine Langer-Marsch-2D-Rakete abheben,
um den ersten Quantum Space Satellite (QSS) in einen Low Earth Orbit bringen.
Der Satellit enthält einen Quantenschlüssel-Kommunikator, Emitter und Empfänger für verschränkte Photonen,
eine Prozessor- und Steuereinheit sowie einen Laser-Kommunikator."
liest man bei heise
online.
- Wo bleibt der Quantencomputer? (7. 6. 2009)
"Spätestens seit Peter Shor 1994 seinen Faktorisierungs-Algorithmus
für Quantenrechner vorstellte, erwachte das Interesse an der Technologie,
die das Potenzial hatte, bis dato existierende Kryptotechniken mit einem
Schlag obsolet zu machen. Doch unter den Schreibtischen steht heute
noch immer Siliziumtechnik - warum braucht der Quantencomputer so lange?
In einem Artikel im Wissenschaftsmagazin Science argumentieren Philip
Hemmer von der Texas A&M University und Jörg Wrachtrup von der Universität
Stuttgart, dass der Quantenrechner zum einen längst da ist - und zum
anderen in ganz anderer Form kommt, als wir damals erwarteten."
Telepolis-Interview
mit Jörg Wrachtrup.
- Meilenstein auf dem Weg zum Quantencomputer (2. 1. 2003)
Die Online-Zeitschrift "TELEPOLIS" berichtet ausführlich über
Ionenfallen
als Bausteine für künftige Quantencomputer. Allmählich
sickert das Thema in den Bereich der Medien ein, die Entwicklung scheint
rasant weiterzugehen.
Zu guter Letzt: Science-Fiction
"Diese Art von Maschine befände sich also nicht zu
jedem Zeitpunkt in einem festgelegten Zustand, den man kennen kann, sondern
in einer Überlagerung vieler Quantenzustände." "Ja, sie ist genau wie ein
Elementarteilchen, das einen Spin auf oder einen Spin ab haben könnte. Es
ist in beiden Zuständen gleichzeitig..." "Bis es jemand beobachtet", sagte
ich, "und die Wellenfunktion in den einen oder anderen Zustand kollabiert.
So macht man bei einer Saunt-Grod-Maschine vermutlich am Ende irgendeine
Beobachtung..." "Und die Wellenfunktion der Maschine kollabiert in einen
bestimmten Zustand - was dann die Lösung ist."
Neal Stephenson zum Quantencomputer und dessen Anwendung
zur Routenoptimierung
in seinem Roman "Anathem" (im Jahre 3690 auf dem Planeten Arbre)
© 19. April 2001 (Upd: 8.12.2019) by Josef Gräf, Die
Erfindung des Quantencomputers