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Venusdurchgang am 8. Juni 2004
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Venus
Arno Schmidt: Das schönere Europa (5)
Sonne

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A.: 

(einfallend):  Der Kreis ist geschlossen!

B.: 

Und das Riesenunternehmen geglückt! An 5 Stellen der Erdoberfläche hat man, bei klarem Himmel, 6 volle Stunden lang, den Weg des Planeten über die Sonnenscheibe verfolgen können : in Wardöhus am Eismeer maß Hell aus Wien in der Mitternachtssonne. Ebenso der Stockholmer Planmann zu Kajaneborg, in den weiten Wäldern Finnlands. In Nordkanada gelang die dritte. Die vierte an der Küste des mexikanischen Kalifornien. Die letzte im rousseau'schen Traumparadies O'Taheiti - oder, wie wir heute sagen, Tahiti.

A.: 

Drei weitere, nicht ganz so vollkommene, aber doch zur endgültigen Berechnung wichtige Beobachtungsreihen hatten die Russen geliefert : Rumowskij in Kola; Kapitän Islennieff in Jakutsk. Als letzter der Mexikaner Velasquez in Santa Anna, Kalifornien.

B.: 

Aber sogleich kam die nächste Verzögerung, ehe das große Werk gelungen, die Entfernung der Sonne endgültig bekannt war: der Rückweg der Beobachter war weit; und keine Post ging damals von der Südsee oder den »barren grounds« am magnetischen Pol. Paris und Leningrad, damals führend nach Anzahl der Observatorien und dem Ruf ihrer Gelehrten, waren zum natürlichen Sammelbecken sämtlicher Rechenunterlagen geworden, dort also saß man nach jenem berühmten 3. Juni 1769, und wartete fiebernd auf das Material.

A.: 

Die finnischen Messungen gingen zuerst ein - aber für sich allein waren sie von halbem Wert; erst durch Kombination mit anderen konnte man Sicheres sagen. Im Dezember 69 trafen die kalifornischen Ergebnisse ein. Es wurde März 1770, ehe die Expeditionen von Wardö und der Hudsonbay zurück waren. Und erst im September 1771, volle 2 Jahre später!, glitt die »Endeavour« wieder in den Heimathafen, an Bord die unschätzbaren Zahlenunterlagen von Tahiti.

B.: 

Und - betrüblicherweise sei's gestanden - sogar menschliche Unzulänglichkeit mußte sich zuletzt noch einmischen! Vielleicht ist es aufgefallen, daß die kalifornischen Ergebnisse eher bekannt waren, als die aus dem europäischen Wardö!

A.: 

Denn selbst mit dem besten Willen kann man den Pater Hell aus Wien nicht von Schuld freisprechen! Er verheimlichte neun volle Monate lang seine Beobachtungen gänzlich; obwohl er rasch in Erfahrung gebracht hatte, daß außer der seinen keine so vollständige Beobachtung im Norden gemacht worden war; und die übrigen europäischen -ja, selbst die von der Hudsonsbay! - ihm schon bekannt, und in seinen Händen waren.

B.: 

Am 9. Juni reiste er von Wardöhus ab. Durch einen Kurier ward die Nachricht des Gelingens schon im August nach Kopenhagen gebracht. Im November las Hell in der dortigen Akademie persönlich seine Abhandlung vor.

A.: 

Aber erst Ende Februar des folgenden Jahres wurde die gedruckte Abhandlung dem gelehrten Publikum vorgelegt! Und auch brieflich hatte er Keinem vorher die Momente mitgeteilt. - Die Gründe, die er später für diese völlig unbegreifliche Verzögerung angab: Weitläufigkeit der Rechnung; Hindernisse des Drucks; selbst ein Verbot des dänischen Königs, irgendjemandem etwas mitzuteilen - bestenfalls erfunden; oder aber gar veranlaßt von Hell selbst! - sind so ganz und gar nichtig, daß sie mit Recht von keinem der zeitgenössischen Astronomen auch nur der mindesten Rücksicht gewürdigt worden sind.

B.: 

Zuerst und ganz unumwunden sprach der große Franzose Lalande mit der ihm eigenen, in solchen Fällen aber sehr wohltätigen Heftigkeit den Verdacht aus : Hell habe seine ganze Beobachtung erfunden, oder doch »frisiert« !

A.: 

Wahrscheinlich war er jedoch nur ängstlich und eitel; und hätte gern erst alle fremden Angaben durchgerechnet, um zu übersehen, ob die seinigen gut wären. Immerhin ist der Pater Hell selbst schuld, wenn man die Wardöhuser Beobachtung immer mit etwas kritischen Blicken betrachten muß. Dabei - Ironie des Zufalls - ist sie unserer heutigen Kenntnis nach ausgezeichnet gut, vielleicht gar die beste überhaupt, gewesen!
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© 15. Mai 2001  by Josef Gräf,   Venusdurchgang am 8. Juni 2004